Corona Selbsttest - Testungen in der Grundschule

Seit anderthalb Jahren begleitete das Thema Corona bereits unseren Schulalltag und voller Bammel schauten die Kinder und ich jedes mal auf die Teststreifen. Seit einer Woche war ich an einer neuen Schule, wieder Klassenlehrerin einer 2. Klasse, 24 Kinder. Nun war es also so weit: Der erste positive Test bei einem meiner Schüler und es wurde noch besser... aber schön von vorne und der Reihe nach.

Zunächst holte ich aus dem Schulsekretariat eine hellbraune Papiertüte mit den abgezählten Tests und der Namensliste meiner Klasse ab. Im Klassenraum angekommen, inspizierte ich aufmerksam den Inhalt: Sind es bekannte Tests oder neue? Sind es Einzelpackungen oder 5er-, gar 10er-Packungen? Stehen die Röhrchen von alleine oder sind sie unten abgerundet und kippen gleich um? Ist die Flüssigkeit bereits in den Röhrchen oder kommen sie in einer separaten Ampulle?

Dieses Mal waren es die 5er-Packungen mit Ampulle. Die Ampulle bedeutete bisher die größtmögliche Herausforderung für die Kinder. Ich riss die fünf Packungen auf und bereitete verschiedene Häufchen auf meinen Lehrertisch vor. Dann verteilte ich alles auf den Tischen der Kinder. Am vorherigen Tag hatten wir gemeinsam die Arbeitsflächen geputzt und desinfiziert. Gerade fertig geworden, klingelte es und die Kleinen strömten herein.

Auf den ersten Blick erkannten sie, womit wir beginnen werden und stellten sich in einer Reihe am Waschbecken an. Die meisten zählen immer laut bis 30 während sie ihre Hände waschen. Dann heißt es hinsetzen und warten. Warten auf die Kinder, die noch in der Wasch-Schlange stehen und warten auf die Kinder, die nicht pünktlich zum Unterrichtsbeginn erscheinen.

Fünf Minuten später saßen sie bereit und ich bat sie, alles auf dem Tisch nachzuzählen und zu kontrollieren. Dabei hielt ich alle Sachen nacheinander nach oben und fragte:

„Haben alle einen Teststreifen?“
„Ja!“, Antwort im Chor.
„Haben alle ein Wattestäbchen?“
„Ja!“, Antwort im Chor.
„Haben alle ein Röhrchen?“
„Ja!“, Antwort im Chor.
„Haben alle eine Ampulle?“
„Ja!“, der Chor und: „Bei mir ist gar nichts drinne Frau Meyer!“
Ok, schnell mit einer Reserve ausgewechselt.
„Haben alle eine Mülltüte?“
„Ja!“, Antwort im Chor.

Nun folgte die präzise Anweisung für den Ablauf. Da ich nur einen Wecker habe, müssen alle Kinder zeitgleich beginnen. Nach 15 Minuten soll das Ergebnis abgelesen werden.

„Alle halten den Testreifen nach oben!“ Jedes Kind hielt ihn nach oben, ich kontrollierte. „Nun reißt ihr die Packung auf. Dort wo die kleinen Löcher an der Seite sind.“ Die kleinen Fingerchen mühten sich ab. Bei einigen dauerte es länger. Die Teststreifen lagen nun bereit.

„Nun nehmen alle das Röhrchen nach oben!“ Die Kinder hielten sie hoch, ich kontrollierte. „Das Röhrchen stellt ihr nun in die Ständer rein!“

„Jetzt haltet ihr die Ampulle hoch!“ Die Ampullen wurden hochgehalten. „Öffnet die Ampulle. Dafür dreht ihr so lange an dem Dreieck, bis es abbricht!“ Einige stöhnten angestrengt auf. „Drehen, drehen, drehen!“, wiederholte ich und zeigte dabei die Bewegung an der Ampulle, welche ich in der Hand hielt. Wir warteten bis es alle geschafft hatten.

„Nun folgt der nächste Schritt! Gaaanz vorsichtig dreht ihr die Ampulle um und haltet die Öffnung über euer Röhrchen und eeerst jetzt die Ampulle pressen! Die Flüssigkeit soll im Röhrchen landen!“ Sie landete aber nicht bei allen im Röhrchen. Wieder mussten zwei Ersatz-Ampullen geholt, Tische gewischt werden.

„Nun halten alle das Wattestäbchen nach oben. Die Watte muss dabei nach oben zeigen!“ Ich kontrollierte wieder. „Dort wo eure Finger anfassen, könnt ihr die Öffnung sehen. Jetzt öffnen alle ihre Packung und holen das Wattestäbchen heraus. Haltet es dann nach oben!“ Wieder fummelten drei, vier Kinder umständlich und unbeholfen an der Plastikverpackung herum. Als alle bereit waren, ging es weiter.

„Nun dürft ihr eure Masken herunterziehen und vooorsichtig mit dem Wattestäbchen in den Nasenlöchern kreisen. Zuerst die eine Nasenseite, dann die andere!“ Einige niesten, einige riefen „Ahh!“ „Nicht zu tief, es darf euch nicht weh tun!“ Ich guckte zur Uhr und gleichzeitig zu den kreisenden Kindern.

„Nun kommt das Wattestäbchen in das Röhrchen rein. Dort klopfen und rühren bis ich Stopp sage!“ Wieder kontrollierte ich, dass alle mitkamen und blickte gleichzeitig zur Uhr.

„Und nun bitte das Röhrchen schließen und nach oben halten! Und die Masken wieder richtig aufsetzen!“ Wir näherten uns dem Höhepunkt und es waren bereits 15 Minuten der Stunde vergangen, was die Regel ist.

„Nun haltet ihr das Röhrchen über den Teststreifen und drückt drei bis vier Tropfen heraus. Ihr müsst die kleine runde Öffnung treffen. Überall muss die Flüssigkeit hochlaufen. Heute sieht sie lila aus. Gibt es ein Kind wo es nicht lila wird?“ Schon oft musste ein Test wiederholt werden, weil die Flüssigkeit nicht hochlief. Ich stellte den Wecker. Kein Kind sagte etwas. Offenbar funktionierten dieses Mal alles Tests, dachte ich erleichtert.

Aber schon hörte ich es schluchzen. „Frau Meyer, Frau Meyer, bei mir sind zwei Striche gekommen!“ Ich blickte zu Fabian, dessen aufgerissene Augen sich mit Tränen füllten. Bei dem Ausruf rutschten sofort mehrere Kinder mit ihren Stühlen von Fabian weg. Ich sagte der verängstigten Banknachbarin, dass sie sich an einen anderen freien Platz setzen und an Fabian gerichtet, dass er seine Sachen einpacken soll und ich sofort seine Mama anrufe. Ich versuchte Ruhe auszustrahlen - mein Herz raste.

Schnell lief ich zum Lehrer der Nachbarklasse. „Wie sind die Abläufe an dieser Schule? Bei mir ist ein Test positiv!“ Er guckte verdattert: „Ähhh wir hatten hier noch nie einen positiven Befund! Setz ihn erstmal alleine in den Musikraum!“ Er rannte los zur Schulleitung. Die dritte Lehrkraft auf unserem Flur übernahm die Aufsicht der drei Klassen.

Fabian plus Ranzen und Jacke geschnappt. Ihn in den Musikraum geschoben - zum Glück auch auf unserem Flur, gegenüber unseres Klassenraums. Hecktisch Telefonnummern rausgesucht - zum Glück vorhanden und korrekt. Fabian tröstend. Zum Glück Mutter sofort erreicht und herbeieilend.

Mein Kollege kam mit unserer Bufdine* angehetzt, welche ihn beaufsichtigte. „Fabian, Mama kommt gleich. Ich wünsche dir alles Gute! Werd schnell wieder gesund!“, sagte ich ihm und strich kurz noch ein mal über seinen Rücken. Geknickt ging ich zu den anderen Kindern in die Klasse zurück und dort saß tatsächlich schon der zweite Trauerkloß. Ein weiterer Junge hatte ein positives Testergebnis. Ich konnte es nicht fassen.

Also wiederholte sich das Spiel und auch nachdem beide Kinder abgeholt worden waren, brauchten wir noch eine weitere Stunde, um alles miteinander zu besprechen und den Raum zu reinigen. Viele machten sich Sorgen. „Werden sie ins Krankenhaus gefahren? Wird da das Blaulicht angemacht“, „Müssen sie sterben? Mein Opa ist auch an Corona gestorben!“, „Bekomme ich auch das Coronavirus?“ Alle waren aufgewühlt und voller Verzweiflung und Angst. Ich hörte ihnen zu und versuchte sie zu beruhigen. Auch in mir herrschte emotionaler Ausnahmezustand.

Und ich fühlte mich allein. Die unmittelbaren Kollegen waren sofort aufgesprungen und hatten geholfen in der akuten Notsituation. Und dann? Die Leitung meinte: Erstmal abwarten. Die Eltern informieren? Nein. Ich solle schön die Füße still halten, man müsse erst mal alles mit dem Schulamt besprechen. Wer weiß, ob der PCR-Test ebenfalls positiv ausfällt. Und dabei blieb es. Ich bin bis heute fassungslos. Wir hielten weiter normal Unterricht ab. Ich durfte die Eltern nicht aufklären – Datenschutz ginge vor. Alles Anordnungen von oben.

Der PCR-Test war bei beiden Jungs positiv und sie fehlten mehrere Tage. Wir waren alle sehr erleichtert, als sie wieder in die Schule kommen konnten. Nach diesem prägenden Tag sind die Kinder noch angespannter, wenn es heißt „heute testen wir wieder“ und mir geht es ähnlich.

*Bufdine: weibliche Abkürzung für Kollegin im Bundesfreiwilligendienst

Der Gutscheincode lautet: negativ

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