Als ich auf dem Schultisch lag

Im heutigen Unterricht habe ich mal wieder vollen Körpereinsatz gezeigt: Eine Belehrung sollte durchgeführt werden. Auch wenn die Überschrift erst mal witzig klingen mag, so sind es jedes mal ernste Themen und ich hoffe sehr, dass sich mein Einsatz lohnt. Die Kinder müssen, meiner Meinung nach, wissen, was sie gefährdet und wie sie sich richtig verhalten. Hoffentlich erinnern sie sich dann an mich. Dieses Erinnern klappt ja meistens dann, wenn Emotionen hervorgerufen werden. Deshalb heißt es, auch ehrlich zu sein, auch wenn einiges vielleicht drastisch wirken mag. Wir können die Kleinen nun mal nicht in Watte packen. Ich zumindest möchte sie fit machen und stärken für ihre Zukunft.

In jeder Klasse sitzen einige Kinder, die bereits sehr gut Bescheid wissen und eifrig erzählen, was sie selbst erlebt oder von anderen gehört haben. Einige andere hören aber zum ersten Mal von den Dingen, die die Welt bereit hält und staunende Münder folgen den Ausführungen äußerst aufmerksam. Meist sind die Reaktionen Erstaunen, Ehrfurcht und Respekt. Sagt ein Kind, dass es Angst davon bekommt, erkläre ich, dass nur etwas Schlimmes passiert, wenn es die Gefahren nicht kennt und dass wir genau deshalb darüber reden. Wenn wir lernen, wie wir richtig entscheiden und handeln können, dann brauchen wir auch keine Angst zu haben. Nur weil wir uns die Ohren oder Augen zuhalten, sind die Gefahren nämlich trotzdem noch da.

Jahreszeitlich bedingt stand nun also das Thema Winter auf meinem Zettel. Nun haben wir hier im Norden selten extreme Wintereinbrüche aber trotzdem wird den Gefahren ausführlich Bedeutung beigemessen. Manch ein Kind hat Verwandte in den Bergen oder fährt in den Skiurlaub.

Auch bei uns hat es in der aktuellen Woche ein bisschen geschneit und ich musste Eis vom Auto kratzen, bevor ich zur Schule fahren konnte. Die Kinder hatten also ganz frisch erlebt, wie sich „der Winter anfühlt“ und waren gleich aktiv und ideenreich, als ich fragte, „Ja, warum müssen wir denn heute über den Winter reden? Was kann denn da überhaupt passieren, im Winter?“ Das gelbe Schild „Belehrung“ hatte ich an der Tafel befestigt.

Fast alle Kinder recken ihre Finger nach oben. Der Reihe nach geht es los. Juri beginnt: „Es ist glatt und man kann hinfallen! Ich bin gestern sogar zwei mal ausgerutscht!“ Emil zeigt daraufhin gleich die Sohle seiner Stiefel. „Hier, du brauchst Profil. Dann kannst du besser gehen.“ Sie verstehen, dass sie sich bei Stürzen verletzen und Wege länger dauern können. Statt zu hetzen, sollten sie 5 Minuten eher losgehen.

Lisa meldet sich: „Es ist ja auch immer so dunkel. Morgens ist es dunkel und am Nachmittag nach dem Hort ist es auch schon wieder dunkel.“ „Ja, genau“, sage ich, „und warum ist das wichtig für uns?“ „Wir können nicht gut gucken und auch die Autos sehen uns nicht so gut“, erwidert Lisa. „Genau“, sagt Markus professionell, „der Bremsweg ist länger. Der Autofahrer kann nicht so gut bremsen. Vielleicht trifft er uns dann.“ „Bin ich dann tot?“, fragt die kleine Linn. „Das muss nicht sein aber vielleicht ja. Es sind leider schon Kinder bei Unfällen auf der Straße gestorben“, sage ich mit ernster Miene. Einige halten sich erschrocken die Hände vor ihren Mund.

Ich gehe zur Wand mit den Garderobenhaken und frage, ob ihnen an den Jacken etwas auffällt. Sie überlegen. „Welche Jacke könnt ihr denn am besten sehen?“ „Die mit dem neongrün und die gelbe“, sagt Juri. „Genau! Helle Farben kann das Auge besser erkennen. Ihr müsst jetzt nicht gleich am Nachmittag mit Mama und Papa eine neue Jacke kaufen aber vielleicht achtet ihr dann im nächsten Jahr darauf, wenn ihr gewachsen seid und eine neue kaufen müsst. Tim meldet sich: „Meine ist dunkelblau aber die leuchtet!“ Ich bitte ihn, sie uns zu zeigen und erkläre dann allen den Unterschied von leuchten und reflektieren. Wir knipsen das Licht aus und fahren die Rollos herunter. Jetzt testen wir die Reflektoren an seiner Jacke mit der Taschenlampe meines Handys. „Ahhh!“, rufen sie begeistert aus. Yusuf sagt, dass sein Ranzen „auch so ist“. Wir stellen seinen Ranzen auf den Lehrertisch und machen mit ihm ebenfalls den Test. „Jawoll, Yusuf hat recht!“, rufe ich und er nickt zufrieden. Alle untersuchen nun ihre Ranzen und jeder findet daran mindestens einen Reflektor. Alle atmen erleichtert auf. „Na da könnt ihr Mama und Papa aber loben“, sage ich lachend, „da haben sie ja richtig tolle Ranzen gekauft.“ „Mein Ranzen hat mir mein Opa geschenkt“, ruft Klara. „Na dann sagst du Opa ein ganz großes Lob von Frau Meyer“, antworte ich ihr. Klara kichert.

„Lasst uns mal überlegen, was noch wichtig ist im Winter, besonders wenn es geschneit hat!“, leite ich zu einem neuen Aspekt hinüber. Marten bringt einen neuen Vorschlag ein: „Wir dürfen in der Pause nicht mit Schneebällen werfen!“ „Ja, das ist richtig! Wer kann denn sagen, warum ihr das nicht machen sollt?“, hake ich nach. Fiona meint: „Das kann weh tun. Kinder können am Kopf oder im Auge getroffen werden!“ Jedes zweite Kind stimmt ihr zu, weil es diese Erfahrung schon einmal gemacht hat. Ich sage ihnen, dass manchmal auch Steinchen oder Eis in den Schneebällen sein können und dass es dann sogar noch mehr schmerzt. Vier, fünf Kinder verdrehen etwas genervt die Augen. Wir sprechen darüber, dass es auch Spaß machen kann, im Schnee zu toben und eine Schneeballschlacht mit Freunden oder der Familie zu veranstalten. Aber dann müssen sich eben alle an die Regeln halten und nur die machen mit, die auch gerne möchten. Auf dem Schulhof werden oft Kinder getroffen, die gar nicht mitmachen und sich dann auch noch sehr erschrecken. Alle verstehen, dass das gar nicht schön ist.

Der kleine Levi gibt zu bedenken: „Mir ist auch immer so schnell kalt im Winter.“ Ich erkläre ihnen, dass es wichtig ist, sich warm anzuziehen. Wir schauen uns das „Zwiebelprinzip“ an. Mehrere Schichten wie bei einer Zwiebel sind praktisch, weil wir uns dann in den Räumen wieder ausziehen können und nicht zu sehr schwitzen. Sobald es rausgeht, heißt es wieder: Warm einpacken. Sie verstehen auch sehr schnell, dass es Stoff gibt, der ganz leicht nass wird und anderen Stoff, der die Feuchtigkeit nicht so schnell durchlässt. Ich sage ihnen auch, dass es wichtig ist, genau auf seinen Körper zu hören. Wenn man friert, sollte man so schnell es geht nach Hause marschieren. Sie staunen, als ich ihnen sage, dass es Bergsteiger gibt, die zu lange dem eisigen Wetter ausgesetzt waren und deshalb einen oder mehrere Zehen verloren haben. Miriam platzt heraus: „Meine Mutti hat mir erzählt, dass auch schon mal ein Obdachloser erfroren ist. Der ist dann gestorben.“ Alle Kinder schauen betroffen. „Ja, leider gibt es bei uns Obdachlose“, greife ich den Beitrag auf, „das sind Menschen, die kein Zuhause haben. Manchmal passiert das dann, dass sie im Kalten einschlafen und dann schafft der Körper das nicht. Das ist sehr traurig.“ Markus wirft ein, dass es für Obdachlose auch Heime gibt: „Aber vielleicht wusste der das nicht!?“ „Ja“, meine ich, „zum Glück habt ihr alle eine Wohnung und könnt schnell rein, wenn es euch draußen zu kalt wird.“ Alle nicken noch immer nachdenklich. Wir halten kurz inne.

Ich möchte sie auf einen weiteren wichtigen Aspekt lenken. „Was passiert denn mit Wasser, wenn es richtig kalt wird?“ Wieder werden die Arme nach oben gerissen. „Es wird hart“, sagt Sascha. „Prima!“ lobe ich ihn. „Und wie nennt man das genau?“, frage ich weiter. „Das Wasser friert bei Null Grad“, sagt Markus. „Ganz genau. Wasser kann frieren und zu Eis werden. Toll, dass ihr das schon wisst!“, lobe ich weiter. „Nun klopfe ich mit meinem Zeigefinger an meine Wange und blicke nachdenklich nach oben zur Decke. An die Kinder gerichtet frage ich, „Warum ist das denn für uns wichtig? Was gibt’s denn da für eine Gefahr?“ Nur drei Kinder melden sich. Ich frage weiter: „Wo haben wir denn draußen eigentlich Wasser?“ „Ahhh!“, rufen jetzt mehrere und melden sich. Marry sagt: „Wir dürfen nicht auf´s Eis gehen!“. „Ja, du hast schon die richtige Idee.“ Ich kreise mit der rechten Hand neben meinem Kopf. Die Kinder wissen, was das bedeutet: Schon fast dran, nur noch ein bisschen weiter nachdenken. „Wo ist denn das Eis, was du meinst?“ „Na der Teich da hinten!“ ruft Marry aufgeregt und zeigt sitzend in Richtung Fenster schräg hinter sich. „Sehr schön Marry!“, bestätige ich ihre Aussage. „Wir haben Teiche oder Seen, Flüsse und sogar die Ostsee bei uns. Wenn es sehr kalt wird, kann das Wasser darin gefrieren und es entsteht eine Eisdecke.“, gebannt hören sie mir zu. „Boah, kann die ganze Ostsee zufrieren?“, fragt Leon. „Na“, sage ich, „die ganze Ostsee wohl nicht aber am Strand wo wir entlang wandern, also der Rand der Ostsee, der kann schon gefrieren. Und dann ist da ein Eisrand.“ Die meisten Kinder waren schon mal am Strand der Ostsee und möchten dies gleich mitteilen aber wir machen „weiter im Programm“:

„Warum hat Marry denn gesagt, dass wir nicht auf das Eis gehen dürfen? Was kann denn da passieren?“, frage ich in die Runde. Jeff, der sich vorher noch gar nicht gemeldet hat, sagt nun selbstbewusst: „Erst wenn die Feuerwehr das Eis frei gibt. Dann darf man rauf. Es kann sonst brechen. Ich weiß das. Das hat mein Papa gesagt. Mein Papa arbeitet bei der Feuerwehr.“ „Toll, Jeff“, lobe ich ihn, „ganz genau! Wir können gar nicht sehen, ob die Eisdecke schon hält, ob die Eisdecke schon dick genug ist. An einigen Stellen ist sie vielleicht schon etwas dicker aber an anderen noch dünner. Das wissen wir nicht. Oft ist sie noch ganz dünn und kann zerbrechen. Dann geht sie kaputt und was passiert dann mit mir?“ „Dann breche ich ein!“, sagt Linn. „Ja genau“, antworte ich, „und was bedeutet denn das? Wo ist denn dann mein Körper?“ An den Reaktionen der Kinder erkenne ich, dass noch nicht alle verstanden haben, was „einbrechen“ heißt. „Wer kann das denn mal erklären?“, ermuntere ich die, die es schon begriffen haben. Markus sagt: „Erst kommen Risse im Eis, weil dein Gewicht zu schwer ist und dann bricht das da auf. Es entsteht ein Loch und du kannst dann in das Loch reinfallen. Es ist ja direkt unter deinen Füßen!“

Ria in der ersten Reihe ruft rein: „Aber ich kann schon schwimmen!“ Ich lege wieder nachdenklich den Zeigefinger an mein Gesicht und blicke mit zusammengekniffenen Augen Richtung Decke: „Hm“, brumme ich laut „hilft mir das denn, dass ich schwimmen kann?“ Die anderen Kinder schütteln den Kopf. „Es ist ja auch viel zu kalt“, sagt Levi. Markus gibt zu bedenken: „Außerdem kann es auch sein, dass dein Körper richtig tief in das Wasser gezogen wird. Also dann bist du ja unter dem Eis“. Ich nicke ihm zu: „Ja, da hat Markus leider recht. Das stelle ich mir ganz schlimm vor. Dann findet man das Loch nicht mehr und ist wie gefangen“. Ria nickt betroffen.

„Das wichtigste ist, dass ihr gar nicht erst einbrecht! Wenn ihr merkt, dass Risse entstehen, müsst ihr ganz schnell reagieren! Dann müsst ihr euch flach auf das Eis legen, damit sich euer Gewicht verteilt“. Ich zeige ihnen den Unterschied indem ich zunächst stehe und mich danach einmal auf den freien Tisch am Fenster lege. „Die Tischplatte ist jetzt mal unsere Eisdecke. So muss ich mich dann hinlegen und versuchen, mich vorsichtig zum rettenden Ufer zu schieben“. Ich schiebe mich langsam auf dem Tisch vorwärts. Alle sind gebannt.

Zum Glück: Frau Meyer hat es geschafft! Erleichtertes Seufzen.

„Was passiert denn, wenn ich in das Eis einbreche und nicht gleich komplett untertauche?“ Ich gehe wieder um den Tisch und hocke mich dahinter. Bis zur Nasenspitze tauche ich ab. Wieder halten einige Kinder gebannt den Atem an. Ria ruft: „Ich ziehe mich hoch!“. Ich versuche, ihren Rat zu befolgen und hiefe stöhnend meine Arme nach oben aus dem Wasser“. Ich halte mich am Rand des Loches fest aber schaffe es nicht, herauszuklettern. Verzweifelt rufe ich: „Das Eis bricht immer wieder ein! Ich komme nicht raus!“ Ich sacke immer wieder nach unten.

Mit einem Ruck stehe ich auf, trete zwei Schritte zur Seite und zeige nach unten zum Tisch, unserer Eisdecke: „Falls das passieren sollte, müsst ihr ganz laut um Hilfe rufen und versuchen, euch gut festzuhalten.“ Die Kinder schauen weiter gebannt, was als nächstes geschehen wird. „Stellt euch doch mal vor, ihr geht spazieren und seht jemanden, der ins Wasser eingebrochen ist und um Hilfe ruft. Was macht ihr denn da?“ Markus sagt: „Ich rufe bei der Feuerwehr an!“ Ich nicke: „Ganz genau! Ihr holt so schnell es geht Hilfe! Wer schon ein Handy hat, kann damit anrufen. Wer sagt noch mal die Nummer?“ Alle rufen: „112!“ „Sehr schön!“, lobe ich sie. Und was macht ihr, wenn ihr kein Handy habt?“ Yusuf meint: „Ich hole schnell Papa!“ Ich bekräftige seine Aussage: „Genau! Ihr holt einen Erwachsenen! Auf gar keinen Fall geht ihr auch auf das Eis!“ Bei diesen Worten kreuze ich mehrfach energisch die Arme vor meinem Gesicht, Zeigefinger gestreckt und drehe ruckartig den Kopf von links nach rechts und wieder zurück. Jeff meldet sich: „Nur die Feuerwehr darf die Rettung machen. Mein Papa übt das immer mit einer Leiter.“ „Ganz genau, Jeff!“, ist meine Antwort.

Zum Abschluss zeige ich ihnen auf der digitalen Tafel noch ein paar Fotos solch einer Übung. Wir können erkennen, dass die Feuerwehrleute eine Leiter auf das Eis legen und darauf zum Loch kriechen. Im Loch sehen wir eine Person mit Helm. Ich erkläre ihnen, dass sie hier für einen Notfall üben: „Ein Feuerwehrmann ist dann wie ein Schauspieler und er tut nur so, genau wie ich hier auf unserem Tisch. So übt die Manschaft und kann dann helfen, wenn ein Mensch wirklich in Gefahr ist.“ „Ich will auch mal Feuerwehrmann werden!“, ruft Ria und ich nicke ihr ermunternd zu: „Das ist eine tolle Idee von dir!“ „Ich auch!“, rufen andere. Dann ertönt auch schon die Klingel und alle gehen mit erröteten Gesichtern in die Hofpause. Das Mitdenken und Mitfiebern hat uns alle ganz schön viel Energie gekostet. Ich denke, heute sind bei allen Anwesenden Emotionen geweckt worden.

Der Gutscheincode lautet: Feuerwehr 1 (für das interaktive Video ohne Lesekompetenz)
und
Feuerwehr 2 (für das interaktive Video mit Lesekompetenz)

Du kannst nun zurück zur Seite mit den Belehrungen gehen.

Impressum
Datenschutz
AGB